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Würdigung

Steller, dessen persönliches Auftreten nicht immer unumstritten war(11), repräsentiert einen neuen Typus von Wissenschaftler: Er war hervorragend ausgebildet, vielseitig interessiert, mit einer unvoreingenommenen Beobachtungsgabe und kritischer Urteilsfähigkeit ausgestattet, arbeitete er äußerst präzise und bediente sich moderner Methoden wie Reihen- und vergleichender Untersuchungen. Voller Tatendrang war er jederzeit bereit, für neue wissenschaftliche Erkenntnisse persönliche Entbehrungen und härteste Strapazen auf sich zu nehmen. Der Arzt und Naturforscher Johann Georg Gmelin, zeitweise Stellers „Vorgesetzter" in Sibirien, beschreibt ihn so:

„Er war mit keinen Kleidern beschweret. Weil man die Haushaltung durch Sibirien mit sich führen muß, so hatte er sie so klein, als immer möglich, eingerichtet. Sein Trinkgefäß zum Bier war eines mit dem Trinkgefäß zum Meth und Brandtwein. Wein verlangte er gar nicht. Er hatte nur eine Schüssel, daraus er speisete, und in welcher er alle seine Speisen anrichtete [...] Er kochte alles selber, und dieses auch wieder mit so wenigen Umständen, daß Suppe, Gemüse und Fleisch in einem Topfe zugleich angesetzt und gekocht wurden. Er konnte den Qualm davon in der Stube, da er arbeitete, gar leicht ertragen. Er brauchte keine Perücke und keinen Puder; ein jeder Schuh und ein jeder Stiefel war ihm gerecht; er hatte bey allem diesem keinen Verdruß über die elende Lebensart; er war immer gutes Muths, und je unordentlicher alles bey ihm zugieng, desto frölicher war er. [...] Dabei bemerkten wir, daß ohngeachtet aller der Unordnung, die er in seiner Lebensart von sich blicken ließ, er doch in Anstellung seiner Wahrnehmungen überaus pünktlich, und in allen seinen Unternehmungen unermüdet war, so daß wir deswegen nicht die geringste Sorge tragen durften. Es war ihm nicht schwer, einen ganzen Tag zu hungern und zu dursten, wenn er etwas den Wissenschaften ersprießliches ins Werk richten konnte."(12)

Somit wies Steller der nächsten Forschergeneration den Weg, die von den Ergebnissen seiner Forschungen profitieren konnte, was ihm selbst durch seinen frühen Tod verwehrt blieb. Erst Jahrzehnte nach Stellers Tod begann man mit der Sichtung, Auswertung und punktuellen Veröffentlichung seiner wissenschaftliche Hinterlassenschaft, seiner zahlreichen Manuskripte, Zeichnungen und gesammelten Objekte. So schälte sich erst im Laufe der Zeit und lange nach seinem Tod das Bild eines unermüdlich und auf hohem wissenschaftlichem Niveau arbeitenden Naturforschers heraus, der einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Erforschung Sibiriens und Alaskas geleistet hat.


(11) Steller war eigenwillig, oft aufbrausend, sehr empfindlich, blickte auf ihm intellektuell Unterlegene herab,
       „offenbar war er begabt in der Kunst, sich Feinde zu machen“ (H. Rothauscher, Die Stellersche Seekuh,
        Bülkau 2008, S. 15.)
(12) Johann Georg Gmelin, Reise durch Sibirien (wie Anm. 4), Bd. III, p. 177.